Vom Gelehrten zum Geleerten ist der Inhalt dieser Folge. Dabei schreibt sich der erste Gelehrte mit eh, er ist also gründlich gebildet. Der zweite Geleerte schreibt sich zwei e, er ist also leer geworden.
Dazu erzähle ich Dir die Geschichte von Anna-Lena. Wir gehen einige Jahre zurück. Anna-Lena hörte damals ein englisches Lied, in dem es um grateful, also dankbar, ging. Sie erinnerte sich, dass es Podcasts gibt. Also suchte sie sich einige passende Podcasts zum Thema Dankbarkeit. So lernte sie, wie sie die beste Version von sich werden konnte. Sie lernte die interessantesten Techniken kennen, die ihr Heilung und Entwicklung versprachen. Dann fühlte sie sich als Lichtarbeiterin. Anna-Lena wurde überheblich und bemitleidete ihre Mitmenschen, die wenig Interesse an ihren Erkenntnissen hatten. Dann kamen Engel und Wesen aus anderen Dimensionen in ihr Leben. Sie erfuhr, dass sie einen Schatten hatte und dass sie ganz viele Traumata aus ihren vergangenen Leben mitgebracht hatte. Sie wurde energetisch geheilt. Nun kannte sie auch ihre Chakren und musste sich vor Fremdenergien und Energievampiren schützen. Alles wurde anstrengender. Manchmal dachte sie an früher, als sie einfach vor sich hinlebte. Heute nannte sie diesen Zustand „schlafen“ und verurteilte ihn. Bewusst leben wollte sie. Ihr großes Ziel war Erwachen und natürlich Kundalini. Dann hörte sie von Aura-Fotografie und musste auch so ein Bild von ihrer Aura haben. Ihre Aura schützte sie ab dann immer ganz besonders gut. Es wurde noch anstrengender. Dabei sollte es doch leichter werden?
Anna-Lena manifestiert sich Parkplätze
Dann begann sie sich Parkplätze zu manifestieren. Das klappte erstaunlich gut. Bloß bei Dingen, die ihr wichtig waren, versagte diese neue Methode. Das sorgte für ganz schön viel Frust, weil sie ja schon so weit gekommen war und das dann auch können musste. So dachte sie. Jeden Morgen machte sie ihre Morgenroutine, diese ergänzte sie um eine Abendroutine. Sie hörte von den universellen Gesetzen und versuchte fortan diese zu beachten. Die universellen Gesetze sorgten bei ihr für Verwirrung, ständig kamen neue dazu und jeder drückte sich da ein bisschen anders aus. Dann fand sie ein Lebensberaterin, die für Anna-Lena ein wahrer Glücksgriff war. Sie konnte auch in die Zukunft sehen und Anna-Lena eine wunderbare Zukunft vorhersagen. Die Lebensberaterin war schon recht alt und kurz vor der Rente. Anna-Lena fragte sich, was sie dann wohl ohne sie machen würde. Da verspürte sie eine große Angst. Dann fand sie eine Frau, die ihr für jede Krankheit einen Zahlencode gab, den sie auf einen Zettel schreiben musste und dann dreimal am Tag 13 Minuten mit der Schrift zur Haut tragen musste. Das sollte alles heilen, da das die Frequenz der Krankheit überlagern sollte. Anna-Lena war eine dankbare Kundin, die Wirkung blieb jedoch irgendwie aus.
Anna-Lena wird zur Universalgelehrten
Anna-Lena achtete sehr stark darauf, kein neues Karma anzusammeln. Sie besuchte Seminare von Erfolgstrainern und fühlte sich dort so wohl, mit all den gleich Gesinnten. Endlich wurde sie verstanden! Auf einem dieser Seminare verliebte sie sich in Hans. Hans war Handwerker und er gefiel ihr sehr gut. Zusammen philosophierten sie stundenlang über ihre eigene Entwicklung und wie weit sie schon gekommen waren. Hans jedoch hatte mehr Interesse daran, seine Firma voranzubringen und die neuen Methoden zur Kundenakquise zu nutzen. Erleuchtung war für ihn, wenn der Geldbeutel klingelte. So trennte sie sich schweren Herzens wieder von ihm, ihrem geglaubten Seelenverwandten, ihrer Dualseele. Sie überlegte lange, warum sie sich denn im letzten Leben die Beziehung mit ihrer Zwillingsseele gewählt hatte und vor allem, warum diese in die Brüche ging. Sie versuchte noch mehr karmafrei zu werden.
Sie las Unmengen an spiritueller Literatur und hatte für jeden einen passenden Ratschlag. So wurde sie zu einer Gelehrten und letztlich sogar zu einer Universalgelehrten. Das nahm sie wahr und es freute sie sehr. Dennoch war es alles noch sehr anstrengend.
Irgendwann lernte sie zufällig beim Einkaufen John kennen. John faszinierte sie. Anna-Lena wollte alles über ihn wissen. So fragte sie ihn nach seinen Hobbies. Er hatte keine. John war so anders als alle, die sie kannte. Für ihn war der kleine Luxus des Alltags der wirkliche Luxus. John lebte im Moment. Klar plante er auch, was er einkaufen wollte für die nächsten Tage. Anna-Lena grübelte oft über die Vergangenheit oder sorgte sich um die Zukunft. John lebte im Moment. Er strahlte eine beeindruckende Leichtigkeit aus. Seine innere Stärke war enorm. John folgte der Freude. Er war sehr spontan und lachte viel. Er achtete immer darauf, dass er sich gut fühlte. Anna-Lena bemerkte, dass ihm ohne den ganzen Aufwand, den sie betrieb, alles einfach so zuflog. Das wollte sie verstehen. Sie fragte John: „Wie machst Du das?“. Er antwortete ihr mit einem leichten Lächeln: „Wenn ich gehe, dann gehe ich. Wenn ich sitze, dann sitze ich. Wenn ich arbeite, dann arbeite ich.“ Anna-Lena war überrascht. Das machte sie doch auch? Nein, antwortete John: „Wenn Du gehst, denkst Du an Dein Ziel. Wenn Du sitzt, denkst Du ans Aufstehen. Wenn Du arbeitest, denkst Du an den Feierabend.“ Das saß.
Anna-Lena wird zur Geleerten
Plötzlich wurde es ganz leicht. Es wurde wenig im Außen. Alle Zwänge und Morgenroutinen verschwanden. Anna-Lena fand die Stille in sich. Sie fand die Fülle in sich. Sie fand alles, was sie wollte in diesem Moment. Anna-Lena fühlte sich so beschwingt, als ob sie fliegen würde. Ihr kam der Gedanke, ob sich so Erleuchtung anfühlte?! Ihr war es egal. Sie war einfach, voller Wohlgefühl war sie im Moment, im Jetzt und Hier. Sie war präsent. Sie fühlte sich verbunden und voller Liebe. Ihre Augen strahlten. Sie war voller Energie. Anna-Lena war von der Gelehrten über die Universalgelehrte zur Geleerten geworden. Manchmal hatte sie jetzt noch Lust an der Morgenroutine und dann machte sie sie.
Anna-Lena wusste ganz tief in sich, dass diese Reise ewig weitergehen wird und niemals endet. Bei diesem Gedanken erinnerte sie sich wieder daran, wo sie war: im Hier und Jetzt. Ein sehr guter Ort, um zu bleiben.