69 Was hättest Du getan?

Heute möchte ich Dir eine Geschichte erzählen. Sie spielt an einem eisig kalten Samstagmorgen. Es ist kurz vor acht Uhr. Zu dieser Zeit war ich vor dem Supermarkt und bei frostigem Wind auf dem Weg, um mir einen Einkaufswagen zu holen. Auf dem Boden kauerte ein Bettler. Er hatte wohl eine Mütze und Handschuhe an, diese wirkten jedoch recht dünn. So saß er da auf seiner dünnen Matte im zudem auch noch stark zugigen Bereich, wo die Einkaufswagen abgestellt sind. Zu dieser Zeit waren nur wenig andere Menschen hier. Die Menschen, die da waren, gingen achtlos mit ihrem Einkaufswagen an ihm vorbei. Er wirkte resigniert.

Dann sah ich einen Mann mittleren Alters. Er ging zu dem Bettler und sprach ihn an. Der Bettler gestikulierte. Der Mann sprach wieder. Der Bettler gestikulierte wieder. Das wirkte auf mich so, als ob die beiden Schwierigkeiten bei der Verständigung hatten. Schließlich gab der Mann dem Bettler einen Schein. Dieser steckte den Schein ein und zeigte eine Geste des Dankes. Der Spender blieb dann jedoch stehen und redete weiter auf den Bettler ein. Er begann ebenfalls zu gestikulieren. Das ging einige Momente und dann stand der Bettler auf. Er packte seinen Becher und seine dünne Matratze und ging weg.

Was war passiert?

Auch der Spender wollte weitergehen. Ich hielt ihn jedoch an und fragte ihn, was gerade passiert sei. Er zögerte zunächst und schaute sich um. Dann erzählte er mir, dass er ein Elektronikgerät gewonnen hatte und dieses bei Kleinanzeigen verkauft hatte. Den Erlös davon wollte er spenden. Dabei ließ er für sich völlig offen wann, wie viel und an wen. Er wollte auf sein Bauchgefühl hören. Als er dann heute Morgen aus seinem bequemen, gemütlichen und wohlig warmen Zuhause zum Einkaufen kam und diesen Mann sah, hatte er sofort den Impuls ihm Geld zu spenden. Der Spender wollte ihm einfach den eisigen Tag frei geben. Deshalb fragte er den Bettler nach seinem Tagesumsatz. Schnell bemerkte er, dass die Sprachbarriere zwischen ihnen steht. Also überlegte er, welcher Betrag Sinn macht, damit der Bettler diesen Tag frei machen könnte. Ein Betrag kam ihm direkt in den Sinn. Diesen Betrag schenkte er dem Bettler. Dieser bedankte sich, wollte jedoch bleiben. Deshalb sagte ihm der Spender mit seinen Gesten, dass dieser Tag nun frei sei. Schließlich stand der Bettler auf und ging.

Der Mann erzählte das alles recht sachlich. Es schien ihm unangenehm zu sein, darauf angesprochen worden zu sein. Für ihn war es an diesem Morgen und in dieser Situation selbstverständlich. Ich dankte ihm und ging nachsinnend einkaufen. Als ich zurückkam und meinen Einkaufswagen abstellte, waren der Bettler ebenso wie der Spender immer noch weg.

Mir kam der Einfall aus diesem Erlebnis eine Podcast-Folge zu machen und am Ende zu fragen: Was hättest Du getan?